„Frauen und Technik“?

CM RedaktionAllgemein, Gendersensibilität, News

Vor etwa 120 Jahren durften Frauen in Deutschland noch nicht studieren. Heute stellen sie gut die Hälfte der Studienanfänger:innen: 2021 lag ihr Anteil bei 52,4 % (Statistisches Bundesamt 2023). Die einzige Fächergruppe, in der das anders aussieht, sind MINT-Fächer, die an der Hochschule Mittweida dominieren. Hier lag der Anteil weiblicher Studienbeginnerinnen nur bei 34,5 % (Statistisches Bundesamt 2023). Ein Grund dafür könnten Stereotype sein.

„Frauen und Technik“? Was für Stereotype gibt es?

So gut wie jede Frau ist schon mit geschlechtsspezifischen Stereotypen in Bezug auf ihre technischen Kompetenzen konfrontiert worden. Manchmal wird nur „Frauen und Technik“ geseufzt, manchmal werden Basisanwendungen erklärt, deren Kenntnis bei männlichen Personen vorausgesetzt würde, manchmal wird andersherum gar nichts erklärt, weil Frauen es ohnehin nicht verstehen könnten. Geschlechtsspezifische Stereotype „drehen sich, bezogen auf MINT, oftmals um Fähigkeiten und Kompetenzen, Interessen und Eignung, Begabung und mehr. Positive Ausprägungen diesbezüglich werden mit Männlichkeit verknüpft und entsprechend anderen Geschlechtern abgesprochen“ (Jeanrenaud 2020: 26). Auch eine allgemeine Behandlung von Frauen „von oben herab“ deutet auf Stereotype hin.

Entwicklung der Stereotype

Oft ist es schwer, geschlechtsspezifische Stereotype zu erkennen, weil sie scheinbar selbstverständlich sind. Die Stereotypen sind omnipräsent und werden fortwährend aktualisiert – um sie erkennen zu können, muss man Grundstrukturen hinterfragen, mit denen man seit jeher lebt.

Schon Kindern werden Meinungen in Bezug auf Geschlecht und Technik vermittelt, wenn Mädchen zum Spielen beispielsweise Puppen gegeben werden statt Bauklötzen oder wenn sie sich für Pferde interessieren sollen und Jungen für Autos. Auch in der Schule existieren solche geschlechtsspezifischen Stereotypen. So gilt Mathematik als klassisches „Jungenfach“, für das Mädchen einfach weniger begabt seien. Cooper (2006) stellt fest, dass Mädchen bei der Arbeit an Computern Erfolge eher als Glück interpretieren, Schwierigkeiten dagegen als persönliches Versagen. Jungen hingegen begreifen Leistungen bei der Arbeit an Computern als Beweis ihrer eigenen Fähigkeiten und schreiben Misserfolge äußeren Faktoren zu oder schlichtweg Pech. Diese unterschiedlichen Zuschreibungen, die in der Psychologie als “Attributionen” bezeichnet werden, führen laut Cooper dazu, dass sich bei Mädchen eine „Computer Anxiety” entwickelt.

Auswirkungen der Stereotype

Durch die ständige Konfrontation mit Stereotypen werden diese in die eigene Identität integriert. Jeanrenaud (2020) bezieht sich auf den Soziologen Mead, der davon ausgeht, dass verschiedene Bestandteile der eigenen Identität unter anderem durch die Auseinandersetzung mit anderen Personen und deren Erwartungshaltungen gebildet werden. Gehen also alle anderen davon aus, dass ich als Frau schlechte technische Kompetenzen habe, glaube ich das irgendwann selbst.

Diese Verinnerlichung geschlechtsspezifischer Stereotypen führt zu „Stereotype Threat“ – zu selbsterfüllenden Prophezeiungen in Bezug auf den Umgang mit Technik (Cooper 2006, Jeanrenaud 2020). Allein das Wissen, zu einer Gruppe zu gehören, gegenüber der Vorurteile bestehen, verändert die Leistung messbar. Im Fall von Jungen und Männern kann dies positiv sein: Indem sie glauben, sie hätten hohe technische Fähigkeiten, gewinnen sie Selbstvertrauen im Umgang mit entsprechenden Anwendungen und erzielen gute Leistungen. Bei Mädchen und Frauen dagegen sinken die Leistungen nachweislich. Das Stereotyp bestätigt sich selbst. Dabei ist es keinesfalls so, als hätten Frauen wirklich schlechtere technische Kompetenzen oder Begabungen. Sie haben jedoch auf dem Weg in den MINT-Bereich und auch im Studium mit mehr Widrigkeiten zu kämpfen und sind weniger selbstsicher. Vor 120 Jahren durften Frauen nicht studieren – bis heute hat sich also vieles getan. Es muss, und kann, sich weiterhin vieles tun.

Quellen

Cooper, Joel (2006): The digital divide. The special case of gender. In: Journal of Computer Assisted Learning, Jahrgang 22, Heft 5, S. 320–334. Auf: https://doi.org/10.1111/j.1365-2729.2006.00185.x

Jeanrenaud, Yves (2020): MINT. Warum nicht? Zur Unterrepräsentation von Frauen in MINT, speziell IKT, deren Ursachen, Wirksamkeit bestehender Maßnahmen und Handlungsempfehlungen Expertise im Auftrag der Sachverständigenkommission für den Dritten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung. Auf: https://www.bmfsfj.de/resource/blob/227404/9c00c907483f6089c13d8040fde223c2/jeanrenaud-yves-mint-warum-nicht-zur-unterrepraesentation-von-frauen-in-mint-speziell-ikt-deren-ursachen-wirksamkeit-bestehender-massnahmen-und-handlungsempfehlungen-data.pdf

Statistisches Bundesamt (2023, 23. Januar): 6,5 % weniger Studienanfängerinnen und -anfänger in MINT-Fächern im Studienjahr 2021. Pressemitteilung Nr. N004 vom 23. Januar 2023. Auf: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/01/PD23_N004_213.html#:~:text=Frauen%20entscheiden%20sich%20nach%20wie,2021%20bereits%2034%2C5%20%25. (abgerufen am 10. Juli 2024).